Bischof sieht Kirche durch Corona-Krise tief erschüttert

Wilmer: Gedanke von strafendem Gott ist fürchterlich und unchristlich

Veröffentlicht am 30.03.2020 um 09:53 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ "Ich frage mich schon: Inwieweit trägt der Glaube, die Kirche, trägt auch unsere Theologie?", sagt Hildesheims Bischof Heiner Wilmer zur Corona-Krise. Die Gottesdienstausfälle sieht er als Chance, innerkirchliche Reformen noch einmal als nötiger denn je.

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Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer sieht auch die Kirche tief erschüttert durch die Corona-Krise. "Ich frage mich schon: Inwieweit trägt der Glaube, die Kirche, trägt auch unsere Theologie?", sagte Wilmer im Interview des "Kölner Stadt-Anzeigers" (Montag): "Wir können das Leid nicht besiegen. Die Corona-Krise vielleicht, hoffentlich. Aber nicht das Leid an sich." Daher gehe es vor allem darum, "wie wir mit dem Leid umgehen", ergänzte er - "ohne Verharmlosung, ohne Vertröstung". Gott selbst sei in den Leidenden und Sterbenden gegenwärtig: "Und ich bin überzeugt, dass Gott natürlich auch in den Helfern gegenwärtig ist, die all diesen Menschen beistehen, so gut es geht."

Sein Gottvertrauen habe nicht gelitten, so der Bischof weiter, aber "trotzdem schüttelt diese Krise mich durch und zeigt mir: Gott ist noch einmal ganz anders, als du ihn dir vorgestellt hast." Der Gedanke von einem strafenden Gott, der der Menschheit die Quittung für Fehlverhalten präsentiere, sei aber "fürchterlich und auch vollkommen unchristlich. Die Corona-Krise ist keine Strafe Gottes". Was die Kirche selbst angehe, habe man sich bisher sehr auf die Messe und die Sakramente konzentriert. Jetzt aber, da die Kirchen geschlossen sind, rückten die Bibel und die kleinen Gemeinschaften von Gläubigen als "Hauskirchen" stärker in den Blick: "Es kommt jetzt die große Frage Martin Luthers neu ins Spiel: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? Nicht nur irgendwie vermittelt durch die Kirche, sondern ganz direkt in einem unmittelbaren Kontakt."

Gottesdienstausfälle als Chance

Gottesdienstausfälle sieht der Bischof auch als Chance, sich wieder auf andere Formen des Miteinanders zu besinnen, die in der christlichen Tradition durchaus vorhanden seien: "Die Messfeier, die Eucharistie, ist sehr wichtig. Aber jetzt setzt euch hin! Lest in der Bibel! Sprecht darüber, zu zweit, zu dritt, per Telefonkonferenz, über Skype, wie auch immer! Vor allem: sprecht mit Gott!" Zudem werde die Kirche gezwungen, sich neu zu fragen, "wie wir Jesus, dem Heiler, gerecht werden. Konkret: durch die Nähe zu den Menschen. Keine Nähe tötet. In diesen Tagen bedeutet es natürlich eine Nähe mit körperlichem Abstand. Die Krise ist ein Schlüsselerlebnis für uns: Die Kirche ist nicht für sich da, sondern für die Gesellschaft."

Auf die Frage, ob innerkirchliche Reformdebatten jetzt hinfällig seien, antwortete Wilmer: "Im Gegenteil. Die Krise zeigt mir, dass Reformen notwendig sind, aber nicht hinreichend. Wir brauchen mehr. Wir haben eine Kirchenkrise, aber auch eine Krise des Glaubens in dem Sinne, dass uns nicht klar ist, wie das Beziehungsgeflecht zwischen dem Menschen und Gott, dem großen, unergründlichen Geheimnis, funktioniert." Global gesehen dürfe die Pandemie nicht das Ende der Idee von einer solidarischen Völkergemeinschaft bedeuten, warnte der Bischof weiter: "Es wäre die noch größere Katastrophe, wenn wir uns abschotteten und die anderen nicht mehr sähen. Rette sich, wer kann - das ist ein fatales Motto, für den Einzelnen wie für ein Volk. Aber ich bin zuversichtlich, dass der Egoismus nicht siegt, und ich nehme da auch viel Ermutigendes wahr."

Auch der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, wandte sich am Montag gegen die These, das Coronavirus als Strafe Gottes zu sehen. "Jesus steht für das Leben, und Gott ist ein Gott des Lebens", so Bedford-Strohm, der am Montag 60 Jahre alt wird, in einem Video auf bild.de. Der Landesbischof betonte, Christen glaubten, dass sich Gott in Jesus gezeigt habe. Es könne nicht sein, dass Gott ein Virus schicke, um Menschen zu töten, denn Jesus habe geheilt. Die Christen feierten Ostern, weil nicht der Tod, sondern das Leben das letzte Wort habe. Bedford-Strohm wörtlich: "Alle, die jetzt helfen und Leben retten, sind so etwas wie die Hände Gottes." (tmg/KNA)

30.3., 12:30 Uhr: Ergänzt um Bedford-Strohm.